Und es ist doch Rassismus
Über die unzulässige Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge
Alexia Weiss
Das Jahr 2022 machte deutlich, womit Geflüchtete und auch jene, die sie unterstützen, seit der großen Fluchtbewegung 2015 konfrontiert sind: dem Gefühl, dass Mitmenschlichkeit rasch endet, wenn das Gegenüber als allzu anders empfunden wird als man selbst. Immer wieder angeheizt wird dieser Konflikt leider von der Politik. Statt zu vermitteln, dass jedes Menschenleben gleich viel wert ist, zeigt sich, dass auf dem Rücken von Menschen Stimmung gemacht werden kann und Wahlen gewonnen werden können. Immer wieder aufs Neue.
In Sachen Flucht bin ich ein bisschen dünnhäutig. Wären meine Großeltern Marianne und Ernest Eichler nicht 1938 aus Wien zunächst nach Paris geflüchtet, und hätten sie 1940 nicht von Südfrankreich aus dank des portugiesischen Konsuls Aristides de Sousa Mendes, der ihnen Visa ausstellte, weiter nach Portugal fliehen können, wäre meine Mutter nicht 1945 im Exil zur Welt gekommen, und es gäbe mich heute nicht.
Wer sich mit den Bedingungen von Flucht damals befasst, dem schnürt es heute die Kehle zu. Wie viel mehr Menschen hätten gerettet werden können, hätten nicht so viele Staaten ihre Grenzen dicht gemacht, wären Visa einfacher zu erhalten gewesen, hätte es mehr Menschen gegeben, die geholfen hätten. Das Urteil über frühere Generationen ist dann rasch gefällt. Der Schluss daraus ebenso: Niemals wieder dürfe es zu solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommen.
Institutionell wurden nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorregimes die richtigen Schlüsse gezogen. Die Vereinten Nationen beschlossen 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in Rom wurde 1950 die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die 1953 in Kraft trat. Es formierte sich die EU, auch intendiert als Friedensprojekt, das Asylrecht wurde auch nationalstaatlich verankert. Aber gelebt wird es teils nur widerwillig.
Alle Menschen sind gleich, heißt es in Sonntagsreden, wenn es um das Gedenken an die Opfer des -Nationalsozialismus geht. Jeder und jede hat dann die Bilder aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern der 1940er-Jahre vor Augen und die Schilderungen von Überlebenden im Kopf, die berichteten, wie die NS–Maschinerie Menschen nach und nach entmenschlichte, ihnen das Existenziellste entzog, wie ausreichend Nahrung, Kleidung und einen warmen Platz zum Schlafen. Es ist heute common sense, dass so etwas nicht mehr passieren darf.
Die Menschheit scheint allerdings nur begrenzt lernfähig: Das zeigt der Völkermord in Ruanda, das zeigt das Gemetzel von Srebrenica, das zeigen aber auch die Kriegsverbrechen, die derzeit in der Ukraine stattfinden. Dort, wo die Ukraine wieder an Terrain gewinnt und die russischen Truppen abziehen, werden Folteropfer gefunden, wie etwa in der Stadt Isjum in der Region Charkiw, wie Human Rights Watch im Oktober 2022 bekannt gab.
Das Morden ist die Spitze des Eisbergs. Dem Morden geht aber immer eine massive Propaganda voraus, die ein Klima schafft, in dem Menschen herabgewürdigt werden, in dem vermittelt wird, dass es wertvollere und weniger wertvolle Menschen gibt
Das Morden ist die Spitze des Eisbergs. Dem Morden geht aber immer eine massive Propaganda voraus, die ein Klima schafft, in dem Menschen herabgewürdigt werden. In dem vermittelt wird, dass es wertvollere und weniger wertvolle Menschen gibt. In dem Menschen sukzessive lernen, dass es okay ist, diese Gruppe schlecht zu behandeln, zu diskriminieren, auszugrenzen und sie, wenn es darum geht, den eigenen Frust irgendwo abzuladen, als Sündenbock zu missbrauchen. Letzteres geschieht nicht bewusst und ist Folge einer Gesellschaft, die sich auseinanderdividieren lässt, die dem Hass und der Hetze nicht genügend entgegensetzen kann. Vor allem ist es aber Folge der Politik mancher Parteien, die potenzielle Wähler:innen vor allem dadurch mobilisieren, dass sie verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufhetzen.
Zermürbende Asylverfahren für afghanische Familien
Im Rahmen der ehrenamtlichen Arbeit für „Shalom Alaikum – Jewish Aid for Refugees in Vienna“ erlebten wir, wie rasch eine allgemeine Willkommenskultur auch wieder kippen kann. Wir erlebten aber auch, wie sehr das, was gesetzlich verankert ist, und das, was in der Realität passiert, auseinanderklaffen. Während die Asylverfahren von Menschen aus Syrien relativ rasch (etwa im Lauf eines Jahres) und meist mit positivem Ausgang abgewickelt wurden, warteten die afghanischen Familien zunächst schon wesentlich länger auf ihren Interviewtermin beim Bundesamt für Asyl- und Fremdenangelegenheiten und bekamen nur in den seltensten Fällen bereits in der ersten Instanz Asyl zugesprochen.
So zogen sich die Verfahren über Jahre – Jahre, in denen sie nicht arbeiten durften, Jahre, in denen Inte-gration kaum möglich war. Familien konnten allerdings immerhin darauf hoffen, in der nächsten Instanz einen positiven Bescheid zu erhalten – alleinstehende Männer dagegen, egal ob sie mit ihren Eltern oder allein nach Österreich gelangt waren, hatten grundsätzlich schlechte Karten. Verstärkt wurde dies noch durch Vorfälle, die nicht passieren hätten dürfen und die für Schlagzeilen sorgten: Junge afghanische Männer waren in kriminelle Taten verwickelt, in denen es um Drogen und/oder sexuelle Übergriffe ging. Ja, das ist ein Problem. Und ja, das ist nicht akzeptabel.
Die jungen Afghanen, die wir begleiteten, haben wir allerdings ganz anders erlebt. Lern- und wissbegierig, höflich und bemüht. Bewusst vermieden sie Hotspots wie den Praterstern und hielten sich von Alkohol und Drogen und anderen Jugendlichen, die potenzielle Troublemaker waren, fern. Einerseits. Andererseits war ich etwa selbst damit konfrontiert, zuzusehen, wie ein junger Mann, dessen Eltern und Geschwister bereits in einer Flüchtlingsunterkunft in Wien untergebracht waren, in Niederösterreich bleiben musste und dort jeweils nach ein paar Wochen oder Monaten wieder in eine neue Unterkunft in einer anderen Gemeinde umziehen musste. So war es ihm nicht möglich, einen Sprachkurs zu absolvieren.
Wäre es ihm nicht dank der Vernetzung mit seiner Familie möglich gewesen, immer wieder nach Wien zu kommen, hätte er einfach in irgendeinem Gasthof in einer kleinen Ortschaft Tag für Tag darauf gewartet, dass es Frühstückszeit ist, Mittagessenzeit, Abendessenzeit, und dann wieder vor vorn, dass ein neuer Morgen anbricht. Spazierengehen im Ort? Nun, da schlug den jungen Männern mit der nicht ganz hellen Hautfarbe, die noch dazu kein Wort Deutsch sprachen, wenig Empathie entgegen. Im Gegenteil: Gerade in Niederösterreich, wo mit Gottfried Waldhäusl ein freiheitlicher Politiker für den Bereich Asyl zuständig ist, werden Asylwerber und -werberinnen in der politischen Kommunikation bis heute als illegal dargestellt.
Natürlich erfolgte die Einreise all dieser Menschen illegal, weil sie legal ja gar nicht möglich ist. Gäbe es legale Einreisemöglichkeiten, gäbe es das Elend, das wir bis heute erleben, das aber inzwischen wieder nur mehr als kleine Notizen Eingang in die Berichterstattung findet, wie etwa die jährlich Tausenden von Menschen, die auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, gar nicht.
Im Hinterkopf hatte ich alle diese Jahre aber auch die Erzählungen einer lieben Freundin, die im Zuge des Jugoslawienkriegs nach Österreich geflüchtet war. -Damals wurden in Wien rasch Flüchtlingsschulen aufgezogen, niemand musste ein Asylverfahren durchlaufen. Wer aus dem Kriegsgebiet hierhergelangte, bekam ein Aufenthaltsrecht. Viele fanden Unterschlupf bei Verwandten, die bereits als Gastarbeiter:innen nach Österreich gekommen waren. Andere wurden von Kirchengemeinden unterstützt, auch die Spendenbereitschaft der Bevölkerung war hoch. Österreich stemmte das gut, wie es in den Jahrzehnten zuvor auch bereits Flüchtlingswellen aus der damaligen Tschechoslowakei oder aus Ungarn gut bewältigt hatte. Warum sollte das nicht auch für andere Geflüchtete möglich sein?
Über Flüchtlinge entscheidet auch die Hautfarbe
Dann fiel der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine ein. Europa verfiel kurz und nachvollziehbar in Schockstarre. Ein Angriffskrieg in Europa, völkerrechtlich verankerte Grenzen hielten nicht mehr. Mit diesem Schock ging aber auch eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft und Unterstützung für die Ukraine und für ukrainische Geflüchtete einher – von der Politik und der Bevölkerung.
Die Partie Christkind gegen Weihnachtsmann wird nebensächlich, wenn es ein Match Christen gegen Muslime gibt. Oder Menschen mit heller Hautfarbe gegen solche mit dunklerer
Nun waren die Grenzen offen, nun gab es ein sofortiges Aufenthaltsrecht. Genau das, worüber ich in den Jahren zuvor immer wieder nachgedacht und was ich herbeigesehnt hatte – für Afghan:innen spätestens seit der neuerlichen Machtübernahme durch die Taliban. Dass dieses Regime Menschenrechte mit den Füßen tritt, ist klar. Warum also nicht allen Afghan:innen, die sich entweder noch immer im Asylverfahren befinden oder denen bisher nur für ein Jahr subsidiärer Schutz oder auch nur für einen begrenzten Zeitraum Asyl zuerkannt wurde, wo dann immer wieder um eine Verlängerung angesucht werden muss, generell einen sicheren Aufenthaltsstatus zusichern?
Dieser kann ja auch so definiert werden, dass er bis zu einem allfälligen Ende des Talibanregimes gilt (das allerdings nach derzeitigem Stand nicht wankt, schließlich gibt es kein Engagement internationaler Truppen mehr, dieses erneut zu stürzen). Sind Menschen hier nach einigen Jahren der Ausbildung und/oder Arbeit gut integriert, gelten sowieso neue Spielregeln. Die Chance, sich überhaupt integrieren zu können, müssen sie allerdings erhalten.
Ukrainer:innen bekamen diese Chance. Auch hier hat sich die Politik nicht mit Ruhm bekleckert, denn es zeigt sich, dass das Grundversorgungssystem nicht ausreichend hilft. Die Akzeptanz von ukrainischen Geflüchteten ist hoch, sie sind nicht mit einem Alltagsrassismus konfrontiert, wie er Afghan:innen, aber auch Syrer:innen, Iraker:innen oder Somalis bis heute begegnet. Ukrainer:innen fallen optisch nicht auf, sie sind meist christlich, sie gehören, wie es dann gern so dahingesagt wird, „unserer Kultur“ an.
„Unsere Kultur“, das zeigt sich dann, ist ein durchaus dehnbarer Begriff – die Partie Christkind gegen Weihnachtsmann wird nebensächlich, wenn es ein Match Christen gegen Muslime gibt. Oder Menschen mit heller Hautfarbe gegen solche mit dunklerer.
An die 90.000 Menschen aus der Ukraine waren bis November 2022 in Österreich gemeldet. Gleichzeitig inszenierte ÖVP-Innenminister Gerhard Karner wieder Bilder, die einen Ansturm von Geflüchteten aus anderen Staaten nahelegten. Es gebe nicht ausreichend Unterkünfte, daher ordnete er die Unterbringung in Zelten an – bei inzwischen teils winterlichen Temperaturen. Die unterschwellige Botschaft: Österreich wird überrannt.
Die Unterbringung in Zelten im Winter ist ein menschenunwürdiger Zug. Wer aber gewinnt von solchen Bildern noch, jedenfalls in Umfragen: die FPÖ. Wie ein Stehaufmanderl lässt diese Partei alle Skandale hinter sich, wenn sie die fremdenfeindliche Klaviatur -bespielt. Es funktioniert immer wieder. Und immer wieder. Und der Innenminister liefert ihnen Steilvorlage um -Steilvorlage.
Wien beherbergt doppelt so viele Geflüchtete, wie es müsste, andere Gemeinden dagegen wehren sich nach wie vor, Unterkünfte für Geflüchtete zu öffnen. Zuletzt machte etwa die Kärntner Stadt Spittal an der Drau von sich reden. Man werde gegen die Unterbringung von 200 Flüchtlingen (etwa aus Afghanistan) in einer ehemaligen Schuhfabrik Widerstand leisten, kündigte Bürgermeister Gerhard Köfer (Liste Team Kärnten) im November an. Als im Frühjahr 2022 bekannt wurde, dass im Schloss Drauhofen im Bezirk Spittal eine Notunterkunft für -ukrainische Geflüchtete eingerichtet wird, gab es da-gegen keinen Protest.
So bleibt am Ende doch leider nur der Schluss: Die Ablehnung der einen Geflüchteten ist rassistisch motiviert. Es wurde bis heute nicht verstanden, dass Menschenrechte nicht teilbar sind. Oder es wurde verstanden, aber man will sich diese politische Manövriermasse nicht nehmen lassen. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Jene Menschen, um deren Rechte es geht, die sind ja noch keine potenziellen Wähler:innen.