In Putins Russland von Susanne Scholl
Heuer war Russlands Machthaber – Sanktionen hin, Sanktionen her – bei den Untertanen sehr populär. Wie lange noch?
In Putins Russland ist das Ende der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. In Putins Russland schreien neuerdings allzu viele „Krim nasch“ – zu Deutsch „die Krim ist unser“.
In Putins Russland spricht man von Neu-Russland und meint Groß-Russland. In Putins Russland sind Regisseure, die kritische Inszenierungen machen, nicht erwünscht.
In Putins Russland kann es geschehen, dass man ganz genau ausgefragt wird, wenn man aus dem Ausland zurückkommt. In Putins Russland läuft im Fernsehen Propaganda aus der untersten Schublade.
In Putins Russland findet man es völlig richtig, der Ukraine einmal kräftig auf die Finger zu klopfen, vielleicht sogar in die Weichteile zu treten. In Putins Russland sind Homosexuelle in Gefahr.
In Putins Russland sind Menschen aus dem Kaukasus in Gefahr. In Putins Russland sind Juden in Gefahr. In Putins Russland sind Menschenrechtsaktivisten in Gefahr.
In Putins Russland ist in Gefahr, wer nicht mit den Wölfen heult.
1.
Bis zur dritten Machtübernahme Wladimir Putins konnte man sich noch einer gewissen Illusion hingeben. Man sprach von einem Pendelausschlag, davon, dass das Pendel ja demnächst wieder die Richtung wechseln würde. Wechseln müsse!
In Putins Russland nach Krim-Annexion und Krieg in der Ostukraine glaubt das keiner mehr. Es scheint ganz so, als sei die Schnur des Pendels gerissen.
Dabei kann nicht einmal von einer Rückkehr zu Sowjetzeiten die Rede sein. Damals herrschte eine privilegierte Minderheit über den Rest des Imperiums – verbrämte ihre Herrschaft allerdings mit einem klaren ideologischen Überbau.
Wladimir Putins Ideologie heißt Macht. Macht und Kontrolle. So, wie er es in seiner Zeit als kleiner KGB-Agent gelernt hat.
Geld auch, aber darüber zu reden ist müßig. Natürlich auch Geld, das sicher auf Banken im Ausland liegen dürfte. Für alle Fälle, man weiß ja nie.
2.
Seit Putin neuerlich – und seiner Intention nach wieder für zwei durch seinen Vasallen Dmitri Medwedew verlängerte Amtszeiten – in den Kreml eingezogen ist, ist es mit den schon bis dahin dünn gesäten Freundlichkeiten endgültig vorbei. Ging es in seinen ersten beiden Amtszeiten noch darum, Fernsehen, Superreiche und Tschetschenien an die Kandare zu nehmen, so gilt jetzt das Wort vom „sich von den Knien erheben und der Welt zeigen, wer wir sind“.
Fürs Erste einmal in der Ukraine. Mit Blick auf den Rest Europas. Als Waffe Erdgas. Erpressung, Lügen und jedes andere unlautere Mittel erwünscht und erlaubt.
3.
Mit der Machtergreifung durch den einzigen wirklichen russischen Oligarchen, Wladimir Putin, haben jedenfalls alte sowjetische Spielregeln wieder an Bedeutung gewonnen, auch wenn die Ideologie wie gesagt eine gänzlich andere ist (was gerade jetzt im Zusammenhang mit den Vorgängen in und rund um die Ukraine manch einer gerne vergisst oder ignoriert!).
Gleich geblieben ist die Idee einer russischen Nation mit Betonung auf eine und russisch.
Menschenrechtsorganisationen, die vom russischen Staat behindert werden, wo es nur geht, ganz zu schweigen davon, dass sie von diesem keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten, müssen sich neuerdings als ausländische Agenten registrieren lassen, weil sie Geld von ausländischen Institutionen erhalten. Wer weiß, wie das Wort Agent im Russischen wirkt, versteht auch die Intention hinter dieser Maßnahme.
Wer kritisch ist und hinschaut, wo die Mächtigen lieber hätten, dass weggeschaut wird, soll wissen, dass er nicht einfach nur behindert wird, er soll wissen, dass er in Gefahr ist. Manchmal direkt und persönlich.
Russlands starker Mann und die Krim: Wladimir Putin, karikiert im deutschen Karneval
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4.
Von Zeit zu Zeit trifft der Machthaber, der sich am liebsten zum Zaren ausrufen ließe, wenn das nicht irgendwie doch etwas zu peinlich wäre, Rabbiner oder geht demonstrativ auf den Manegeplatz, um eine überdimensionale Chanukkia anzuzünden. Seht her, ich bin ein guter Mensch, ich habe nichts gegen Juden. Aber der Schein trügt. Der alltägliche Antisemitismus ist lebendiger denn je. Und dann sind da noch andere Formen. Wer aus dem Kaukasus kommt, aus Asien oder Afrika, ist Freiwild. Wenn Russlands Fußballnationalmannschaft spielt, sind alle, die nicht wie „wahre Russen“ aussehen, in Gefahr, von Hooligans angegriffen zu werden.
Die machen auch gerne Jagd auf Juden, Kaukasier, Afrikaner und Asiaten. Ohne Unterschied. Und liefern sich zu diesem Zweck auch schon gerne Straßenschlachten mit der Polizei, die ihrerseits nicht weiter zimperlich ist im Umgang mit Angehörigen der oben genannten Gruppen. Vorurteile aller Arten gehören in Putins Russland zum Alltag und werden durchaus auch gefördert. Sei es neuerdings mit der Parole „Krim nasch“ („Die Krim ist unser“), aber auch jederzeit mit der Parole „Russland den Russen“. Was immer das heißen mag in einem Land mit Dutzenden mehr oder weniger großen nationalen und religiösen Gruppen, zum Beispiel zwanzig Millionen Muslimen.
5.
Putins Russland befindet sich wirtschaftlich nicht gerade in der besten aller möglichen Lagen. Seit der alt-neue Präsident einmal vor ein paar Jahren dekretiert hat, dass Investitionen die Inflation fördern und deshalb zu unterbleiben haben, lebt das Land im Wesentlichen wieder von den aus Sowjettagen wohlbekannten Petro-Dollars. Oder auch Erdgas-Dollars, wie man es nimmt. Entwicklung ist kaum wahrnehmbar. Mit der Annexion der Krim ist jetzt auch noch ein guter Grund vorhanden, kein Geld im eigenen Land auszugeben. Man braucht dieses ja schließlich für die zurückgeholten Brüder und Schwestern der Krim, denen man bessere Zeiten versprochen hat, wohl wissend, dass man ihnen diese kaum bescheren kann.
Putins Russland stagniert in jeder Beziehung. Weil die Ideen des Präsidenten und seiner von ihm abhängigen engsten Mitstreiter sich auf Kontrolle und Bewahren des Status quo beschränken. Entwicklung und Aufbruch sind in diesem Szenario nicht vorgesehen und werden wohl noch warten müssen. Bis die Menschen in Russland es wieder einmal leid sind und sich einen neuen Präsidenten holen.
6.
Das also ist Putins Russland heute. Ein Staat, in dem das Geld alles bestimmt und die
Mächtigen sich nicht an Regeln halten. Ein Staat, der einerseits voller Minderwertigkeitskomplexe ist und andererseits auftrumpft, als könne er die ganze Welt in die Tasche stecken. Ein Staat, der mit Geld und Erpressung um sich wirft und gleichzeitig in einer Stagnation gefangen ist, wie sie die Sowjetunion unter Leonid Breschnew erlebte.
Und die Perspektiven?
Die wirklich Reichen Russlands – der Präsident eingeschlossen – schicken ihre Kinder ins Ausland. In teure Schweizer oder englische Internate zum Beispiel. Was auf lange Sicht dazu führen könnte, dass eben diese Kinder dereinst die Väter der derzeitigen Entwicklung nicht nur entmachten, sondern vielleicht sogar zur Rechenschaft
ziehen werden. Um darauf zu warten, braucht es einen langen Atem und viel Optimismus. Und manch einer, der 1991 voller Optimismus war, hat diesen inzwischen gänzlich verloren.
Eine zweite Perspektive gibt es auch noch. Wenn der Präsident so weitermacht wie bisher, werden bald auch seine engsten Mitstreiter unangenehme, vor allem wirtschaftliche Folgen zu spüren bekommen. Das wird diesen Mitstreitern nicht gefallen – und so könnten sie sich darauf einigen, eben diesen Präsidenten, der ihnen bisher zu Reichtum und Macht verholfen hat, schlicht und einfach in Pension zu schicken. Einer aus seinem engsten Umfeld, der bereit ist, seinen Platz einzunehmen, wird sich schon finden lassen. Und der wird versuchen, wie einst Michail Gorbatschow, den Deckel etwas zu lüpfen, ohne das System Putin als solches infrage zu stellen. Wie solche Versuche enden, haben wir 1991 erlebt. Der Ausgang ist ebenso ungewiss wie damals.
Und selbst für diese Perspektive braucht es Geduld. Solange alle mit „Krim nasch“ zufrieden sind und meinen, sie verhülfen Russland zu neuer Stärke, indem sie sich einschränken, damit die Krim und andere Teile der Ukraine mit russischem Geld am Leben erhalten werden, wird die sanfte oder auch unsanfte Abschiebung Wladimir Putins aufs Altenteil noch auf sich warten lassen.
Kommen wird sie allemal. Früher oder später. Besser früher als später.
Susanne Scholl, Foto: privat