Der Weg zur Gleichberechtigung ist noch lang

Von Julya Rabinowich

Wir leben in einer Zeit gegenläufiger Strömungen: Während in der Gleichstellung der Geschlechter erhebliche Fortschritte gemacht werden, kommen europaweit gleichzeitig Politiker an die Macht, die Frauenrechte wieder beschneiden wollen.

Die gute Nachricht zuerst: Wir haben, zumindest offiziell, die Gleichstellung der Geschlechter. Wir haben Menschenrechte, Gleichwertigkeit und den totalen Humanismus. Wir haben quasi jene strahlende Zukunft gepachtet, von der schon undemokratischere Systeme träumten. Alle Menschen sind gleich und alles ist gut.

Die schlechte Nachricht ist, dass dieser begehrenswert wundervolle Zustand bislang immer noch eher am Papier zu finden ist als in der Realität. Wir haben nebst der Gleichstellung und der Veränderung der Gesellschaft, die so fröhlich verkündet werden, immer noch die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen, die sich nicht schließt, sondern eher weiter aufgeht. Wir haben die Frage der Kinderbetreuung und der Pflege der hilfsbedürftigen Angehörigen: beide Themenkreise betreffen immer noch überproportional oft Frauen. Wir haben es immer noch nicht geschafft, Sexismus die Stirn zu bieten, so dass er flächendeckend gesellschaftlich geächtet ist. Wir haben Zeiten, in denen die Frau am Herd wieder als denkmögliche Lebensoption angedacht wird, mit Dirndl, Rüsche, Lächeln. Das Lächeln könnte gefrieren.

Wir sind in einer Zeit angelangt, in der das Recht auf den eigenen Körper ernsthaft wieder diskutiert wird. In einer Zeit, in der der Schwangerschaftsabbruch wieder infrage gestellt wird. Hochrangige Mediziner müssen ausrücken, um von der Unsinnigkeit dieser unmenschlichen Bevormundung zu überzeugen. Es gibt bekanntlich keinen verbotenen Schwangerschaftsabbruch. Es gibt nur den illegalen Abbruch, der nachweislich Todesopfer fordert. Wir sind also in einer Zeit angelangt, in der der Tod von Frauen mutwillig in Kauf genommen werden soll, während Alleinerzieherinnen und ihre Kinder und deren Probleme keinen Lebensschützer mehr interessieren, sobald diese Kinder geboren sind. Der Versuch, den weiblichen Körper zu kontrollieren, ist natürlich der gleichzeitige Versuch, die Gesellschaft zu kontrollieren und neue Machtsysteme aufzuziehen.


„Wir haben Zeiten, in denen die Frau am Herd wieder als denkmögliche Lebensoption angedacht wird, mit Dirndl, Rüsche, Lächeln“

Wir sind in einer Zeit angelangt, in der Politiker europaweit an die Macht kommen, die Frauenrechte wieder beschneiden wollen. Jene Frauenrechte, die noch nicht einmal vollwertig umgesetzt worden sind. Alte Frauen holen ihre alten Transparente vom Dachboden, um erneut um dieselben Fragestellungen und Lösungsforderungen zu kämpfen wie vor vielen, vielen Jahren. Auf Demonstrationen treffen sie auf junge und neue Kämpferinnen. Das Anliegen ist generationsübergreifend.

Wenn man sich die Geschichte der Frau in der Gesellschaft näher ansieht, offenbart sich das Triptychon von Kindern, Küche, Kirche. Oder das Schlachtgemälde Gleichberechtigung, dramatisch ausgeleuchtete Rückzugsgefechte mit einbegriffen. Wir können es eigentlich nicht fassen, dass wir wieder gegen dieselben Ressentiments, denselben Versuch, uns in dieses Kinder-Küche-Kirche-Universum zurückzutreiben, aufstehen müssen.

Bis in die Siebzigerjahre musste die Gattin die geneigte Erlaubnis ihrer besseren Hälfte vorweisen können, sollte sie arbeiten gehen wollen, und sieht man in die aktuelle Politlandschaft, hört man immer noch Querschüsse, die wieder lauter werden. Der Kampflärm kommt zurück.

Keiner wird Frauen jetzt die Stimme aberkennen wollen. Aber der Versuch, sie zu schwächen, sie zu dämpfen, ins Lächerliche zu ziehen, dieser Versuch ist schon da.

Und was das passive Wahlrecht angeht: heute, immerhin ganze hundert Jahre später, muss sich eine Politikerin immer noch Fragen und Beschwerden zu Kindererziehung, Aussehen, Kleidungsstil gefallen lassen, während es für männliche Kollegen kein Thema ist, wie sie die Doppelbelastung denn nun handhaben wollen. Warum das so ist? Unter anderem deshalb, weil eh klar ist, dass für ihre Kinder eine Frau zur Verfügung stehen wird. Eine Frau, die weiß, was sie will, ist bossy. Und eine Frau, die zögert und nachdenkt, ist einfach feig und keine Führungspersönlichkeit. Es ist gehupft wie gehatscht. Es ist egal. Dieses zweierlei Maß beeinflusst immer noch unsere Politik und unser Wahlverhalten. Erkennt man diese Beeinflussung nicht an, dann wirkt sie unbewusst weiter und immer weiter, und in ihrem Wirken entstehen die nächsten Generationen von jungen Frauen, die an denselben Fehlern leiden könnten wie die vorangegangene. Und wenn wir schon bei negativen Entwicklungen sind: Österreich ist das Land mit der höchsten Gewaltrate an Frauen. Allein in diesem Jahr, 2019, sind schon über acht Frauen infolge häuslicher Gewalt ums Leben gekommen. Das ist ein trauriger europäischer Höchstwert.

Während Gewaltschutzprogramme gekürzt oder gleich gar nicht umgesetzt werden, kämpfen also die Frauen immer noch um ihre Rechte.

Und sie sollten nicht damit aufhören. Wir haben hundert Jahre Frauenwahlrecht. Und vermutlich noch etliche Jahre Kampf vor uns. Frauen werden Ausdauer und Biss dafür benötigen. Während die abgewählte Regierung ein katastrophales Frauenbild offenbarte und etliche Punkte umgesetzt hat, die Frauen mit voller Wucht und Brutalität trafen, liefert die Übergangsregierung wenigstens eine Korrektur des entstandenen Bildes. Österreich hat zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin. Das ist ein gutes und wichtiges Signal. Der Weg zu einem gleichberechtigten Alltag ist dennoch noch lang. Schnürt euren Schuh.

Foto Julya Rabinowich, Credit: Margit M. Marnul

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