Zuerst ignoriert, dann vergessen


Von Olga Kronsteiner

Bis 1938 waren weibliche Kunstschaffende in Österreich präsenter, als lange angenommen. Ihr Beitrag für die Moderne wurde über Jahrzehnte einfach ignoriert. Bis die Grundlagenforschung eine Kehrtwende einleitete.

Der Zweite Weltkrieg bescherte auch dem Kunstbetrieb eine Zäsur, die bis heute und erstaunlich hartnäckig nachwirkt. Sieht man von all den Künstlern ab, die der Tötungsmaschinerie das NS-Regimes zum Opfer fielen, oder jenen, die noch zeitgerecht ins Ausland flüchten konnten, geht es um die Kunstgeschichtsschreibung: Über Jahrzehnte vermittelte sie ein falsches Bild, indem sie weibliche Kunstschaffende ignorierte und ihnen damit jedwede Bedeutung absprach.

Nicht nur in Österreich. Dass mit ihren Werken in den Nachkriegsjahren hierzulande zeitgleich eifrig gehandelt wurde, war dabei kein Widerspruch. Der Gendergap wurde hauptsächlich auf akademischer Ebene gehätschelt. Während Privatsammler ihre Wohnzimmer mit Zeugnissen einst vielversprechend angelaufener Karrieren schmückten, verblieben solche aus Museumsbeständen mehrheitlich in den Depots.


Ausstellung „Stadt der Frauen“ im Belvedere mit der „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ von Teresa Feodorowna Ries
© Belvedere/Johannes Stoll

Dabei hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg regelmäßige Ankäufe in Verkaufsausstellungen von Galerien und Vereinigungen gegeben, da zeitgenössische Künstlerinnen in der agilen Wiener Szene sehr viel präsenter waren als lange angenommen. Davon zeugen jene Kunstwerke, die – um Leihgaben ergänzt – jüngst im Zuge der Ausstellung „Stadt der Frauen“ teils überhaupt erstmals im Wiener Belvedere zu sehen waren.

Aus diesem Anlass rief Kuratorin Sabine Fellner ein historisches Beispiel in Erinnerung, konkret die unter der Präsidentschaft von Gustav Klimt abgehaltene Kunstschau 1908. Ein Drittel der damals gezeigten Arbeiten stammte nämlich von Frauen. Insofern erscheine „der seit Jahrzehnten in unverminderter Intensität geführte Diskurs über Frauenquoten geradezu regressiv“, schlussfolgerte sie treffend.


Gemälde „In der Laube“, 1901 von Marie Egner geschaffen
© Belvedere/Johannes Stoll

Traum und Wirklichkeit

Nach 1945 geriet der Beitrag österreichischer Künstlerinnen zur Moderne einfach in Vergessenheit. Die einzige Ausnahme bildete die Gruppe der Stimmungsimpressionisten rund um den Landschaftsmaler Jakob Emil Schindler, namentlich Tina Blau, Olga Wisinger-Florian oder Marie Egner. Den Werken ihrer Kolleginnen, auch der jüngeren Generation der Zwischenkriegszeit, schenkten die heimischen Museen dagegen bis in die 1990er-Jahre hinein kaum bis keine Beachtung.

Bemerkenswertes trug sich etwa im Umfeld der Sonderausstellung „Traum und Wirklichkeit – Wien 1870–1930“ zu, die vom Historische Museum der Stadt Wien (nunmehr Wien Museum) im Künstlerhaus veranstaltet wurde. Innerhalb von sechs Monaten lockte sie im Jahr 1985 mehr als 622.000 Besucher an – bis heute ein historischer Rekord für das Vereinsgebäude. Dem internationalen Kunstmarkt sollte diese Präsentation eine bis heute anhaltende Nachfrage an Werken und Objekten dieser Epoche bescheren.


„Feldblumenstrauß“, 1906 gemalt von der Impressionistin Olga Wisinger-Florian, die zuvor lang als Konzertpianistin tätig war
© Belvedere

Denn die mit Museumsbeständen und Privatleihgaben aus dem In- und Ausland gespickte Schau, die das Phänomen „Wien um 1900“ in all seinen Facetten darlegte, war anschließend im Centre Pompidou in Paris und dem Museum of Modern Art (MoMA) in New York (1987) zu sehen. Für diese Gastspiele hatten die Kuratoren der Institutionen die Zusammenstellung adaptiert. Für die MoMA-Version hatte Kirk Varnedoe allerdings sämtliche Werke von Künstlerinnen aussortiert.

Die Moderne sei „ein Unterfangen weißer europäischer Männer, brutaler Fakt“, erklärte er Jahre später in einem Interview. Er habe das genau analysiert und es gebe nun mal keine Werke von Künstlerinnen, die einem Vergleich mit Van Goghs „Sternennacht“ oder Cézannes „Badenden“ standhielten.

Wiederentdeckungen

Eine Form der Geringschätzung, die der Tradition entsprach, die Rolle von Künstlerinnen zu ignorieren und ihre Bedeutung zu negieren. Das sollte sich erst mit der nächsten Generation von Kunsthistorikern ändern. Wohl auch, weil diese deutlich weniger Berührungsängste mit dem Kunsthandel zu haben schien und dessen Ambition bei der Aufarbeitung von Nachlässen zu schätzen wusste, die ganz selbstverständlich auch solche von Künstlerinnen umfasste.

Eine wesentliche Grundlage für viele der Ausstellungen in den vergangenen Jahren, etwa „Jahrhundert der Frauen“ (1999/2000, Kunstforum) oder zu Kinetismus (2006, Wien Museum, 2011, Belvedere) und Hagenbund (2014, Belvedere), bildete Sabine Plakolm-Forsthubers 1994 publizierte Forschungsarbeit. Eine daran anknüpfende Ergänzung boten die Kuratorinnen Andrea Winklbauer und Sabine Fellner mit der Aufarbeitung vergessener jüdischer Künstlerinnen. Die Ausstellung (2016/17, „Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938“) im Jüdischen Museum vervollständigte das Bild der Wiener Moderne weiter.

Zu den Wiederentdeckungen gehörte die Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries. Sie entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Moskau, wo sie ab 1890 an der Kunstakademie studierte, die sie jedoch später aus disziplinären Gründen ausschloss. 1894 emigrierte sie nach Wien. Ein Studium an der Akademie blieb ihr hier allerdings aufgrund der Bestimmungen verwehrt. Erst ab dem Wintersemester 1920/21 waren dort auch Studentinnen willkommen. Ries wählte den damals üblichen Weg und nahm Privatunterricht, konkret bei Edmund Hellmer. Er war einer der wenigen Bildhauer unter den Künstlerhausmitgliedern, die 1897 als Gründungsmitglieder der Secession den Bruch mit der Tradition propagierten.

Im Jahr davor gab Teresa Feodorowna Ries im Rahmen der Frühjahrsausstellung im Künstlerhaus ihr Debüt: mit der aus Marmor gemeißelten „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“, in der manche einen Skandal sahen, die ihr jedoch zum Durchbruch verhelfen sollte.

„So verderbt und verloren“

Als sie am Eröffnungstag „in die Ausstellungshalle kam, um die Aufstellung meines Werkes zu besichtigen, wurde ich gleich beim Eingang von einer Anzahl Kollegen stürmisch begrüßt“, erinnerte sie sich in ihrer 1928 publizierten Autobiografie. „Irgendjemand nannte dabei laut meinen Namen, und im selben Moment erscholl von der Stiege, die in den Saal hinaufführte, eine donnernde Stimme: ‚Das ist die Ries?! Man sollte ihr den Eintritt verbieten. Wie kann sie sich unterstehen, aus einem edlen Marmor eine so scheußliche Fratze zu machen?!‘“

Wie sie da mit gespreizten Beinen hockte, im Begriff, ihre Zehennägel mit einer Gartenschere zu schneiden, empörte auch so manchen Kunstkritiker.

Von „widerlicher Geschmacklosigkeit des dargestellten Stoffes“ war die Rede, von „aufdringlicher Skizzenhaftigkeit und protzenhafter Rohheit“, wohl ausschließlich, „um von sich reden zu machen“. Andere lobten wiederum „ihren geistreichen Humor und ihre sorgfältige technische Behandlung“, die Schönheit treffende „Verkörperung des Hexenthums“, so „verderbt und verloren!“. Eine „imponierende Erscheinung“, die „von männlicher Kraft“ zeuge.

Die Avantgarde zollte Ries jedenfalls Anerkennung, bald schon waren ihre Arbeiten – auf Veranlassung von Gustav Klimt – in der Secession zu sehen. Es folgten Einladungen zu Weltausstellungen (1900, 1911) und zahlreiche Prämierungen. Weiters war sie Gründungsmitglied der Gruppe „Acht Künstlerinnen“, einer Zweckgemeinschaft, die als Vorläufer späterer Verbände gilt. Bis 1912 organisierte die Gruppe Verkaufsausstellungen im Salon Pisko, über die damals auch einige Werke in den Bestand des heutigen Belvedere gelangten.

Zu den „Acht“ gehörte auch Emilie Mediz-Pelikan, von der die Galerie der Moderne 1903 das prachtvolle Gemälde „Blühende Kastanien“ ankaufte. Anlass war die VII. Ausstellung des Hagenbundes, die allein Emilie und ihrem Mann Karl Mediz gewidmet war. Karl war seit 1901 ordentliches Mitglied der Vereinigung, die Bewerbung seiner Frau war dagegen abgelehnt worden.

Ein Brief des damaligen Präsidenten Alexander Demetrios Goltz an Karl Mediz ist symptomatisch für das damalige Klima im Wiener Kulturbetrieb: „Was Ihre uns ebenso werthe Frau Gemahlin anlangt“, so sei das in den Beratungen nicht durchzusetzen gewesen, denn „es war immer der größte Theil dagegen“, man befürchtete, dass „dann einige der in Wien lebenden Frauenmaler uns keine Ruhe gelassen hätten“, „dem wollte man ausweichen“.

Flucht und Ermordung

Als Schenkung eines Kunstfreundes gelangte wiederum 1914 eine um 1907 von Ilse Twardowski-Conrat von Kaiserin Elisabeth geschaffene Büste in den Museumsbestand. Die Bildhauerin war zunächst in Wien Privatschülerin von Josef Breitner und später von Charles van der Stappen in Brüssel. Ihre Skulpturen wurden nicht nur in der Wiener Secession, sondern auch in internationalen Ausstellungen, etwa in Rom, London, Paris und Venedig, gezeigt.


„Spielzeug“ von Fanny Harlfinger-Zakucka (1918)

Wie viele ihrer Kolleginnen lebte sie von Porträtaufträgen der Wiener Gesellschaft und schuf Grabmäler, etwa auch jenes von Johannes Brahms auf dem Wiener Zentralfriedhof. 1935 wurde ihr, die seit 1914 in München lebte, Berufsverbot erteilt. Als sie 1942 die Aufforderung erhält, sich mit ihren Habseligkeiten bei der jüdischen Gemeinde einzufinden, wählte sie, aus der berechtigten Angst vor der Deportation ins KZ, den Freitod.

Das Regime der Nationalsozialisten besiegelte die Schicksale zahlreicher Künstlerinnen. Etwa auch das von Marianne Saxl-Deutsch, die sich auf kunstgewerbliche Arbeiten spezialisiert hatte. Sie wurde sechs Tage nach ihrer Deportation im Mai 1942 in der Vernichtungsstätte Maly Trostinez ermordet. Oder Friedl Dicker-Brandeis, eine Malerin und Architektin, einstige Privatschülerin von Johannes Itten und am Bauhaus in Weimar tätig, die in den 1930er-Jahren sozialpolitisch aktiv wurde. 1934 wurde sie als Mitglied der KPÖ verhaftet und verarbeitete die Verhöre in gleichnamigen Gemälden, die eindringlich die damit verbundene Angst schildern. 1942 wurde Friedl Dicker-Brandeis in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort gab sie Kindern Zeichenunterricht, bis sie 1944 nach Auschwitz überstellt und ermordet wurde.

Und Teresa Feodorowna Ries? Sie musste den Pavillon im Garten des Palais Liechtenstein, den ihr der Fürst Liechtenstein als Atelier überlassen hatte, 1938 räumen und erhielt Berufsverbot. Während ihr Lebenswerk in Wien verblieb, gelang ihr 1942 die Flucht in die Schweiz. Nur ein Teil ihrer eindrucksvollen Skulpturen sollte den Zweiten Weltkrieg und Bombardements überstehen. Zerstört wurde etwa der einst vom amerikanischen Schriftsteller Mark Twain so bewunderte Luzifer aus Gips.

Die Hexe hingegen blieb, wenngleich etwas ramponiert, erhalten und gelangte als Schenkung der Künstlerin und ihrer Nachfahren in den Bestand des Wien Museums. Seit einigen Jahren gastiert diese Marmorskulptur immer wieder als Leihgabe bei Ausstellungen. Dem Vernehmen nach gibt es Überlegungen, dieses Werk in der zukünftigen Dauerausstellung des Wien Museums zu präsentieren: Ein außergewöhnlicher Blickfang, der stellvertretend für Hundertschaften von Kunstwerken in Erinnerung ruft, welchen Beitrag Künstlerinnen für die Moderne zu leisten vermochten.

Foto Olga Kronsteiner © Christian Postl

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