Fünftagereise eines Israels-Newcomers von Jörg Reitmaier

Ein ehemaliger österreichischer Gedenkdiener in Holocaust-Gedenkstätten in Polen und in den USA, der dort oft auch über Israel diskutiert hatte, berichtet von seinem ersten touristischen Israel-Aufenthalt.

Schon seit mehr als zehn Jahren habe ich immer wieder überlegt, nach Israel zu reisen. Damals war ich noch in der Vorbereitung für meinen Gedenkdienst in Polen und in den USA, den ich schließlich 2009 angetreten habe. Bei meinem ersten Dienstteil im Jüdischen Zentrum in Oświęcim/Auschwitz hat Israel eine sehr große Rolle gespielt. Zu dieser Zeit wurde gerade eine Ausstellung mit dem Titel „New Life“ eröffnet. Es werden die Lebensgeschichten von Oświęcimer Jüdinnen und Juden gezeigt, die nach Israel ausgewandert sind. Auch in den USA habe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen beim Virginia Holocaust Museum regelmäßig über Israel diskutiert. Dabei fand ich vor allem die verschiedenen Standpunkte gegenüber dem geografisch weit entfernten, aber emotional so nahen Staat spannend. Immer wurden mir auch persönliche Kontakte angeboten, wenn ich denn mal nach Israel reisen sollte.

Damals hätte ich mir nicht gedacht, dass es bis 2018 dauern würde. Und auch diese Reise war nicht langfristig geplant, sondern hat sich wenige Tage vor Antritt spontan ergeben. Ein Freund, der selbst 2014 unter anderem in Riga in Lettland Gedenkdienst leistete, hat mich kontaktiert und gefragt, ob ich in den Osterferien für ein paar Tage nach Tel Aviv mitreisen möchte, um dem kalten Wetter in Wien zu entkommen. Nach kurzem Abwägen stand für mich fest: Diese Chance muss ich ergreifen. Eine Reise für fünf Tage wurde gebucht. Mein erstes E-Mail ging an Freunde in Jerusalem, die mich letzten Herbst in Wien besucht hatten. Auch Matthis, den aktuellen österreichischen Gedenkdiener in einem jüdischen Altersheim nahe Tel Aviv, informierte ich, und wir vereinbarten ein Treffen. Somit war bereits absehbar, dass es sich bei dieser Reise nicht um einen Strandurlaub handeln würde. Dafür hatte ich zu viele Bezugspunkte.

Die erste Hürde erwartete Fabian, meinen Reisepartner, und mich bereits beim Check-in am Flughafen Wien-Schwechat. Wir wurden lange und sehr genau überprüft und konnten schließlich erst unter den letzten Passagieren in den El-Al-Flieger steigen. Die Abflugzeit war bereits überschritten, und wir starteten mit fast einer Stunde Verspätung. Das war deshalb problematisch, da wir an einem Freitagmittag reisten und der Flieger somit rechtzeitig vor Sabbat-Beginn ankommen musste, damit alle Passagiere rechtzeitig nach Hause kommen. Unser israelischer Sitznachbar wies uns darauf hin, dass notfalls einige Strenggläubige den gesamten Sabbat am Flughafen verbringen müssten. Zufälligerweise war im selben Flieger auch jemand, den ich seit meiner Teilnahme am „March of the Living“ im Jahr 2009 kenne, da er im Organisationsteam von MoRaH (March of Remembrance and Hope Austria) aktiv ist. Mit dieser positiven Stimmung und Vorfreude kam ich nun in dem Land an, mit dem ich mich über Jahre intensiv beschäftigt hatte.

Wir landeten rechtzeitig, doch die Busse in die Stadt waren am späteren Nachmittag bereits eingestellt, und so mussten wir uns ein Taxi nehmen. Beim Warten trafen wir wieder auf zwei junge Österreicherinnen, die beim Check-in in Schwechat hinter uns waren. Wir entschieden uns, ein Taxi zu teilen. Während der Fahrt erzählten wir einander unsere Reisepläne. Dass wir bei einem so kurzen Aufenthalt auch nach Jerusalem fahren wollten, konnten die beiden nicht verstehen, denn sie hatten gehört, dass diese Stadt alt und nicht besonders sehenswert sei. Dadurch wurden wir erstmals während der Reise mit dem Kontrast zwischen Tel Aviv und Jerusalem konfrontiert, den wir in den nächsten Tagen selbst kennen lernen würden.

Tel Aviv Beach – das Original. Magnetischer Anziehungspunkt für junge und internationale Strandurlauber, auch solche ohne Interesse am Heiligen Land

Foto: info.goisrael.com/Dafna Tal

In Tel Aviv angekommen, trennten sich unsere Wege wieder, und Fabian und ich bezogen im Abraham Hostel, bei immer noch über dreißig Grad Celsius, unser Quartier. Für einen kleinen Unkostenbeitrag konnten wir uns am reichlichen Buffet anlässlich des Sabbat-Dinners bedienen und erstmals die hervorragende israelische Küche genießen. Danach spazierten wir noch eine kleine Abendrunde durch das Viertel. Auch wenn wir ein etwas erhöhtes Sicherheitsaufgebot wahrnehmen konnten, war das für mich viel entspannter, als ich es mir über die Jahre vorgestellt hatte. Schockiert waren wir hingegen, als wir bei einer Bar am Rothschild Boulevard (Sderot Rothschild) den Preis für ein Bier gesehen haben. Für das Posten eines Fotos mit dem Hashtag des Lokals in den Social Media erhielten wir ein Glas Arak. Jetzt fühlten wir uns tatsächlich angekommen.

Am nächsten Tag gingen wir entlang der Allenby Street, vorbei an der Großen Synagoge, zum Jerusalem Beach. Hier waren wir zum ersten Mal in Sommerstimmung. Eine Gruppe junger Leute spielte Volleyball, andere joggten entlang der Promenade oder sonnten sich am Strand. Nach mehreren Monaten Winter in Österreich genossen wir es unglaublich, barfuß am Sandstrand zu spazieren. Das Wasser war natürlich auch hier noch sehr kalt. Nur Surfer mit ihren Neoprenanzügen wagten sich in die Wellen. Langsam bewegten wir uns vorbei am Etzel Museum in Richtung Jaffa, dem historischen Teil der Stadt. Dort erwartete uns bereits Gedenkdiener Matthis, der uns eine Führung in seiner Heimat auf Zeit gab. Dabei wurde mir besonders bewusst, wie bunt diese Stadt wirklich ist. Wir entdeckten am Hafen auch eine kleine Kunstgalerie. Am Rückweg zum Hostel kamen wir an einer unscheinbaren Kreuzung mit einer Tankstelle vorbei. Zufällig fiel mir dabei auf, dass wir gerade die „Arthur Schnitzler Street“ querten – eine der vielen Spuren während dieser Reise, die eine Brücke zwischen Israel und Österreich darstellen.

Um auch das berühmt-berüchtigte Nachtleben von Tel Aviv kennen zu lernen, entschieden wir uns, an einem sogenannten „Pub Crawl“, das vom Hostel organisiert wurde, teilzunehmen. Das ermöglichte uns gleichzeitig auch mit anderen Leuten, die in unserer Unterkunft wohnten, in Kontakt zu kommen. Bei der sehr internationalen Gruppe waren unter anderen auch drei Inder dabei. In einem späteren Gespräch erzählten sie uns, dass sie am Golan stationiert seien – dort, wo in der Vergangenheit auch österreichische Soldaten im Einsatz waren. Sich mit solchen Dingen zu beschäftigen, während man sich gerade in einer Disco befindet, gehört anscheinend zur „Normalität“ in Israel dazu. Zumindest war das in diesem Moment mein Eindruck.

Obwohl wir erst um vier Uhr morgens ins Bett gekommen sind, schafften wir es, am Sonntagmittag einen Bus nach Jerusalem zu nehmen. Beim Bus-Terminal in Tel Aviv nahmen wir erstmals ein hohes Militäraufkommen wahr. Wir nutzten dieses jedoch gleich dazu, eine Soldatin nach dem Weg zu fragen, um den richtigen Bus zu erwischen. Direkt hinter uns im Bus saß ein junger Soldat mit einem Gewehr in der Hand. Ich würde lügen, wenn das bei mir nicht ein gewisses Unwohlsein verursacht hätte. Spätestens aber, als dieser über Nachfrage bei seinem unsichtbaren Gesprächspartner (via Mikrofon und Kopfhörer) einem Sitznachbar eine erbetene Wegbeschreibung durchgab, war es verflogen.

Blick vom Ölberg in Jerusalem: Plötzlich bog da eine Palmsonntagsprozession mit afrikanischer Musikbegleitung um die Ecke

Foto: info.goisrael.com

 

Auf der anderen Seite der Fensterscheibe erschienen immer mehr Hügeln. Schließlich konnten wir die ersten Siedlungen von Jerusalem erkennen. Gleich bei der Ortseinfahrt musste der Bus halten, da die Straße abgesperrt war. Wenige Minuten später fuhr ein Konvoi mit mehreren Autos und Polizeischutz vorbei. Wie wir später erfuhren, hatte es sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit um den deutschen Außenminister Heiko Maas gehandelt, der seinen Antrittsbesuch absolvierte, wobei natürlich auch der Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem nicht fehlen durfte.

In Jerusalem angekommen, stellen wir gleich fest, dass hier mehr orthodoxe Juden mit schwarzer Kleidung lebten. Wir gingen entlang der Fußgängerzone zu unserer Unterkunft im Stadtzentrum. Der Rezeptionist empfahl uns, mit einem Taxi zum Ölberg zu fahren und von dort zu Fuß zurückzugehen. Dankbar nahmen wir diesen Vorschlag an. Auf etwa halber Strecke kamen wir in einen Stau. Als wir sahen, dass es kein Weiterkommen gab, erklärte uns der Fahrer, wie wir den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen könnten. Ein kleines Stück vor uns stand ein Bus des Beitar Jerusalem FC und wir hörten Lärm von einer Menschenansammlung. Natürlich kombinierten wir daraus, dass hier irgendwo ein Fußballspiel stattfinden musste, auch wenn uns die Situation dafür ungewöhnlich schien. Wir gingen weiter bis zu einer starken Kurve, wo wir einen besseren Ausblick hatten. Was wir da hörten, waren die Gesänge einer großen Palmsonntagsprozession. Wir erkannten Flaggen aus aller Welt und eine unendlich scheinende Schlange von Menschen, die sich den Ölberg herunter bewegte und in Richtung Altstadt unterwegs war. Einige Zeit sahen und hörten wir den einzelnen Gruppen voller Neugierde zu. Beim Lied „Hakuna Matata“ einer afrikanischen Gruppe sang ich spontan lautstark mit.

Nachdem wir uns von der Prozession getrennt hatten, gingen wir weiter in Richtung Ölberg und danach eine lange Stiege hinauf zu den Mauern der Altstadt. Von dort hatten wir einen unglaublichen Ausblick auf die zahlreichen Hügel, über die sich Jerusalem erstreckt. Vorbei an Grabsteinen und Blumen, die sich außerhalb der hohen Mauer befinden, kamen wir zurück zum Lion’s Gate (dem Löwentor, eines der acht Tore der Jerusalemer Altstadt – Anm.). Dabei stießen wir wieder auf die große Menschenmenge, und schon waren wir mitten im Gedränge, das sich entlang der Via Dolorosa quer durch die Altstadt schob. Wir waren froh, als die Pilger schließlich in eine Seitengasse abbogen. Nachdem wir etwas durchatmen konnten, stellten wir fest, dass wir direkt vor dem Österreichischen Hospiz standen. Es war natürlich ein Muss für uns, dort auf die Dachterrasse hinaufzugehen, um – wie wir das schon öfter gesehen hatten – ein Foto der Altstadt inklusive österreichischer Fahne zu machen.

Nachtleben in Tel Aviv: Wer ein bestimmtes Lokal via Handy in den Social Media „liked“, erhält ein Glas Arak gratis

Foto: Dana Friedländer

 

Vom Hospiz schlenderten wir durch die beeindruckenden Gassen mit den zahlreichen bunten Geschäften und Ständen der Altstadt zum Jaffa Gate. Dort hatten wir uns mit Moshe Cohen verabredet, jenem Herrn, der im Vorjahr gemeinsam mit seiner Frau nach Wien gekommen war. Nach einer herzlichen Begrüßung brachte er uns gleich zurück in die Altstadt. Wir wollten bereits an­merken, dass wir hier schon waren, als wir uns plötzlich vor einer Ausweiskontrolle – ähnlich einem Sicherheitscheck am Flughafen – befanden. Während sich Fabian und ich noch wunderten, warum das nun notwendig war, erhob sich direkt vor uns die Klagemauer. Langsam näherten wir uns dem imposanten Bauwerk und stellten uns zwischen die betenden Männer direkt vor die Steinmauer, deren Ritzen mit Zetteln gespickt sind, auf denen Gebete, Wünsche oder Danksagungen stehen. Ein besonderer Moment dieser Reise. Moshe zeigte uns auch die Gebetsräume daneben und buchte für den nächsten Tag eine Tour unter dem Western Wall. Da unser Guide vor seiner Pensionierung als Professor für arabische Grammatik arbeitete, konnten wir in der Altstadt bei den verschiedenen Ständen die erstaunten Gesichter beobachten, wenn Moshe mit den großteils muslimischen Verkäuferinnen und Verkäufern zu reden begann. Bei einem anschließenden Abendessen führten wir ein spannendes Gespräch über Israel und Österreich. Dabei kamen wir natürlich auch auf Teddy Kollek, den früheren Bürgermeister der Stadt, zu sprechen, den Moshe positiv in Erinnerung hat.

Am nächsten Tag machten sich Fabian und ich schon früh mit der einzigen Straßenbahn Jerusalems auf den Weg zum Mount Herzl. Bei strahlend blauem Himmel erreichten wir die Gedenkstätte Yad Vashem. Beeindruckt vom großen Gelände, betraten wir die Hauptausstellung der Gedenkstätte. Umgehend änderte sich unser Gemütszustand, und wir waren tief betroffen von den Darstellungen. Wir verbrachten etwa zwei Stunden in diesen Räumlichkeiten. Großteils verwendeten wir die Headsets, wobei wir die Tonaufnahme immer wieder unterbrachen, um uns über die Verbindungen zu unserem jeweiligen Gedenkdienst auszutauschen. Besonders viel Zeit verbrachten wir im Abschnitt zum Baltikum. Einerseits war da die besondere Verbindung zu Lettland. Fabian hatte mehrere Monate beim Jüdischen Museum und Okkupationsmuseum in Riga gearbeitet. Ich war auch bereits drei Mal vor Ort. Andererseits sprachen wir über Franz Murer, den „Schlächter von Wilna“, der lange Zeit in meinem Nachbarort in der Obersteiermark gelebt hatte. Im Rahmen meiner Gedenkdienst-Vorbereitung hatte es mich sehr betroffen gemacht, als ich darüber auf den ersten Seiten von Simon Wiesenthals Buch „Recht, nicht Rache“ erfahren hatte. Bis dahin war mir der Name und diese Geschichte nicht bekannt. Aktueller Bezug ist dazu der Film „Murer – Anatomie eines Prozesses“ von Christian Frosch.

Nachdem wir das Gebäude verlassen hatten, trafen wir uns mit Dominik, einem Gedenkdiener des Vereins Gedenkdienst im Archiv von Yad Vashem, der uns die Außenanlagen der Gedenkstätte zeigte. Besonders emotional war für mich neben der „Allee der Gerechten“ sowie der Kindergedenkstätte dann das „Tal der Gemeinden“. All die Namen von kleinen und größeren europäischen jüdischen Gemeinden zu lesen, die während des Nationalsozialismus ausgelöscht wurden, machte für mich das Ausmaß der Shoah besonders sichtbar. Nach beinahe vier Stunden am Mount Herzl holte uns Moshe mit seinem Auto ab, und wir machten uns auf den Weg zurück zur Altstadt. Als wir dabei an der Knesset vorbeikamen, diskutierten Fabian und ich intensiv über die österreichische Verantwortung sowie Aufarbeitung der Vergangenheit. Moshe lauschte aufmerksam und stellte immer wieder Zwischenfragen – auch zur aktuellen Situation in Österreich.

In einem kleinen Restaurant in der Altstadt stärkten wir uns kurz. Und schon begann die Führung durch den Tunnel unter dem Western Wall. Dabei konnten wir sehr viel über die Geschichte von Jerusalem lernen und waren von den Ausmaßen des Bauwerks beeindruckt. Am Vortag hatten sich Fabian und ich entschlossen, trotz der knappen Zeit auch einen kurzen Abstecher nach Bethlehem zu unternehmen. Moshe begleitete uns deshalb noch ein Stück zum Damaskus Gate, wo der Bus in die palästinensischen Gebiete abfuhr. Bei der Verabschiedung von unserem großartigen Guide war für mich bereits klar, dass ich auf jeden Fall schon bald wieder nach Israel reisen werde.

Um den richtigen Bus zu nehmen, fragten wir ein paar Leute am Busbahnhof. Dadurch stellten wir fest, dass neben uns vier weitere junge Touristinnen und Touristen denselben Weg vor sich hatten. Schon bald näherten wir uns den hohen Absperrungen, an denen wir einige Zeit entlangfuhren. Nach etwa dreißig Minuten bogen wir ab, und es ging durch ein paar kleinere Ortschaften. Dabei sah ich ein großes Hinweisschild mit der Aufschrift, dass es israelischen Staatsbürgern verboten ist, dieses Gebiet zu betreten. Ein seltsames Gefühl.

Nach einiger Zeit hielt der Bus an der Endstation. Beim Aussteigen wurden wir sofort von mehreren Personen angesprochen, die uns gern zu Sehenswürdigkeiten bringen wollten. Wir unterhielten uns jedoch mit den vier jungen Leuten und erfuhren dabei, dass jeweils zwei aus Deutschland sowie aus Großbritannien stammten und gerade ein Auslandsjahr in Amman in Jordanien absolvierten. Mithilfe von Google Maps machten wir sechs uns nun gemeinsam auf zur Geburtskirche Jesu. Vorbei an zahlreichen Marktständen konnten wir gleich feststellen, dass die Menschen hier nicht so wohlhabend waren. Als eine alte, schwarze Mercedes-Limousine langsam vorbeifuhr, erinnerte uns das Ganze etwas an eine Filmszene. Schließlich erreichten wir die Kirche und waren verwundert, dass wir nicht viel Security wahrnehmen konnten.

Wir betraten die eher schlichte Kirche durch einen Seiteneingang und sahen mehrere russisch-orthodoxe Christen, die sich mit Gegenständen in ihren Händen auf eine Tür am Ende des großen Raumes zubewegten. Wir folgten ihnen. Eine Stiege führte ein Stockwerk nach unten, und wir beobachteten, dass die Männer und Frauen ihr Mitgebrachtes an einer offenen Stelle in der Wand segnen ließen. Wie wir erfuhren, soll genau an dieser Stelle Jesus Christus geboren worden sein. Kurzzeitig ­waren wir etwas verwirrt, da wir uns diesen Ort, wenn man mit der Religionsgeschichte etwas vertraut ist, vollkommen anders vorgestellt hatten.

Da wir noch am selben Tag von Jerusalem nach Tel Aviv reisen mussten, machten wir uns leider schon wieder auf den Rückweg durch die Märkte von Bethlehem – die vier Studierenden blieben noch länger. Als wir wieder zur Bushaltestelle kamen, standen jene Personen, die uns bei der Ankunft begrüßten, noch immer da. Sie zeigten sich sehr enttäuscht, dass wir schon wieder wegfuhren und nicht an „ihren Angeboten und ihrer Situation interessiert waren“. Das machte uns ziemlich nachdenklich, aber wir hatten bis zur Abfahrt leider nicht mehr genug Zeit, um uns mit ihnen zu unterhalten.

Wieder im Bus waren wir gespannt, wie nun die „Ausreise“ aus dem palästinensischen Gebiet verlaufen würde. Bei einem Grenzposten blieb der Bus kurz stehen. Einige mussten aussteigen, wurden überprüft und konnten dann wieder einsteigen. Wir hingegen brauchten nur unseren Reisepass in die Höhe halten – genau überprüft wurde dieser bei uns nicht. Zurück in Jerusalem spazierten wir nochmal kurz zur Altstadt und besuchten die Grabeskirche Jesu, bevor wir unser Gepäck im Hostel holten und um etwa 22 Uhr den Bus zurück nach Tel Aviv nahmen. Einer der wahrscheinlich intensivsten und prägendsten Tage unseres Lebens ging damit zu Ende.

Am letzten Tag unserer Reise war Relaxen angesagt. Da ich mir aufgrund der Klimaanlagen in den Unterkünften sowie der Anstrengungen der letzten Tage eine leichte Verkühlung zugezogen hatte, blieb ich tagsüber im Zimmer. Fabian machte sich einen schönen Tag am Strand. Am Abend besuchten wir schließlich noch Gedenkdiener Matthis bei sich zuhause. Er wohnte bei einer Familie am Rand der Stadt. Nach einer langen Fahrt in einem überfüllten Bus, erreichten wir mit etwa dreißig Minuten Verspätung das Ziel. Dabei wurde uns wieder einmal klar, wie sehr wir in Bezug auf öffentliche Verkehrsmittel in Wien verwöhnt sind. Vom 16. Stock des Hochhauses, in dem Matthis während seines Israel-Aufenthaltes lebte, konnten wir bereits die Linienflugzeuge vom Ben-Gurion-Flughafen sehen. Das erinnerte uns daran, dass es in wenigen Stunden mit unglaublich vielen Eindrücken zurück nach Österreich gehen würde. Denn Tagwache war bereits um drei Uhr – kurz nach sechs Uhr morgens ging unser Flieger.

Nach ähnlich intensiven Sicherheitschecks wie bei der Abreise aus Österreich war es schließlich Zeit, Abschied zu nehmen. Wir gönnten uns noch schnell einen Falafel-Wrap zum Frühstück und dann ging’s ab zum Gate. Im Shuttlebus vom Terminal zum Flieger gab es plötzlich starken Regen, der wie aus dem Nichts gekommen war. Auch wettermäßig hatten wir Israel also in seiner ganzen Vielfalt erlebt. Nach dem Start bemerkte ich bei meiner Sitznachbarin ein kleines Gebetsbuch. In den darauffolgenden zwei Stunden, also beinahe während des gesamten Flugs, las sie leise darin. Ob es sich dabei um eine streng gläubige Frau handelte oder diese unter besonderer Flugangst litt, konnte ich nicht feststellen. Dieses Erlebnis rundete meine Eindrücke ab und regte gleichzeitig meine Neugierde an, mich weiterhin intensiv mit Israel zu beschäftigen. Zuhause angekommen, war eine der ersten Meldungen, die ich den Nachrichten entnehmen konnte, dass Israel aufgrund der anstehenden Oster- und Pessach-Feiertage sowie der Ankündigungen von palästinensischer Seite in Verbindung mit den 70-Jahr-Feierlichkeiten, vermehrt Soldaten an seine Grenzen sendet. Es wird mir auch in Zukunft nicht leichtfallen, all diese Ereignisse in ihrer Komplexität richtig einzuordnen, aber die Reise nach Israel hat mir dabei geholfen. Der nächste Besuch wird definitiv nicht lange auf sich warten lassen.

Jörg Reitmaier  –  Foto: privat

 

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