Vorwort von Chefredakteur Erhard Stackl

Porträt von Erhard StacklDie Frage nach der eigenen Identität gehört zu den spannendsten überhaupt. Wer man ist, hängt ja nicht nur von Herkunft und Umwelt ab, sondern auch von eigenen Entscheidungen. Und dann sind da noch die anderen, die über einen und die eigene Gruppe urteilen und ihr im schlimmsten Fall das Leben unmöglich machen.

Jüdischen Familien ist das seit Jahrhunderten bekannt. Als wir die Identität als unser Jahresthema festlegten, sind denn auch einige angesprochene Autorinnen und Autoren tief in ihre persönliche Geschichte eingetaucht und waren bereit, ihre Gefühle und Erkenntnisse – manche zum ersten Mal – zu beschreiben.

Heutzutage sind gelebte Internationalität und erzwungene oder freiwillige Veränderungen grundlegender Lebensumstände für viele Menschen selbstverständlich geworden.  Neben der Patchwork-Familie haben Wissenschaftler auch Patchwork-Identitäten ausgemacht.  Auf den folgenden Seiten versuchen wir diesem Phänomen, manchmal tiefschürfend, manchmal anekdotisch, einmal analytisch, dann wieder poetisch auf den Grund zu gehen.

War schon der offen zur Schau gestellte Drang, die eigene Individualität auszuleben, manchen Zeitgenossen suspekt, so droht die seit einiger Zeit propagierte Haltung von Respekt und Toleranz nun überhaupt zu kippen. Die vielen Flüchtlinge, die derzeit nach und durch Österreich kommen, haben teils berechtigte Ängste, teils massive fremdenfeindliche Reflexe ausgelöst. In Wien hat sich dann aber – als mögliches Signal über Österreich hinaus – eine Welle der Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen durchgesetzt.

IKG-Präsident Oskar Deutsch betonte, dass es zum „jüdischen Selbstverständnis“ gehöre, „sich für den Schutz von Verfolgten einzusetzen“. Er gab aber auch zu bedenken, dass sehr viele der muslimischen Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern lange Zeit hindurch aggressiver antisemitischer Propaganda ausgesetzt waren. Europa müsse deshalb „den Erhalt unserer Werte und Regeln des Miteinanders sichern“.

Gegenwärtig drohen die Hilfswilligen allerdings zwischen diesen großen Aufgaben und der Auseinandersetzung mit jenen aufgerieben zu werden, die Ablehnung und Hass schüren.

Optimistische Sozialwissenschaftler erwarten aber,  dass die derzeitige  Begeisterung für uralte Vorstellungen wie einen „homogenen Volkskörper“ mit nur einer Sprache und Religion ohnehin in naher Zukunft erlöschen wird. Dann werde sich die Auffassung durchsetzen, dass die Vielfalt eine gesellschaftliche  Realität ist und Patchwork-Identitäten normal sind.

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