UNSERE ZUKUNFT WIRD FURCHTBAR BIS FANTASTISCH

 

Erhard Stackl, Chefredakteur

Die uralte Legende vom Golem enthält bereits die Elemente heutiger Zukunftsfantasien. Ein Mensch mit besonderen, in diesem Fall sprachmagischen Fähigkeiten, schafft ein lebendes Wesen mit enormen Kräften. Der Golem soll die bedrängte jüdische Gemeinde beschützen. Doch wie in Goethes Ballade vom Zauberlehrling läuft das Experiment aus dem Ruder. Der Golem wird für Menschen selbst zur Gefahr und muss zerstört werden.

Aufbauend auf der populären Prager Version dieser mittelalterlichen Legende brachte der tschechische Dramatiker Karel Čapek 1922 ein Stück heraus, in dem er solchen Wesen den Namen „Roboter“ gab (und auch schon deren bedrohliches Potenzial für die Menschheit erwog). Seither und gerade jetzt treibt diese Idee fantastische Blüten und schürt zugleich Endzeit-Ängste. Wovon werden wir leben, wenn durch die „Digitalisierung“ die Arbeit verschwindet? Mehr noch: In wenigen Jahrzehnten, so prophezeien es Futurologen und Erfinder, werden Mensch und Maschine zu „transhumanen“ Wesen zusammenwachsen. Das eröffnet neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten für die Entwicklung der Intelligenz und vielleicht sogar die weitgehende Überwindung des Todes; es birgt aber auch enorme Gefahren.

Dieser Zwiespalt beherrscht unsere Vorstellungen von dem Kommenden, die sich entweder idealisiert als Utopien (laut der Philosophin Ágnes Heller sind das Zukunftserwartungen, verbunden mit „der Leidenschaft der Hoffnung“) oder als Dystopien (Zukunftserwartungen, verbunden mit „der Leidenschaft der Furcht“) darstellen. Konkrete Ängste – vor dem Klimawandel, vor Terror und Fanatismus, vor einer Massenmigration – gefährden das Zusammenleben auf die zuletzt gewohnte, tolerante Art. Die „Große Regression“ (so ein aktueller Buchtitel) hebt an: Demokratiemüdigkeit und Vertrauen auf den „starken Mann“. Das Postulat von den gleichen Rechten aller Menschen, auch die Idee vom gemeinsamen Europa, drohen von einem neuen und aggressiven Nationalismus verdrängt zu werden – schon immer eine Gefahr für alle, auch für religiöse Minderheiten.

Wir laden Sie ein, auf den folgenden Seiten mit uns in die Zukunft zu blicken. Dabei verschweigen wir nicht, dass unser Fundament fest auf dem Prinzip Hoffnung ruht. Gegründet wurde „Das Jüdische Echo“ von Leon Zelman s. A. bereits vor 66 Jahren. Ari Rath s. A. war unser langjähriger publizistischer Begleiter. Zelman, als halbes Kind ein Überlebender der Schoah, der danach auch in den finstersten Phasen an ein besseres Österreich und an die Gleichwertigkeit der Menschen glaubte, ist vor zehn Jahren gestorben. Rath, in Wien geborener Journalist von Weltgeltung, der in seiner neuen Heimat Israel stets für den Dialog eintrat, ist Anfang dieses Jahres von uns gegangen. Beide haben uns vorgelebt, dass man, auch wenn diese zwischenzeitlich scheitern, an das künftige Gelingen großer Ideen glauben kann.

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