Es beginnt mit der Dämonisierung des Anderen. Vorwort von Leon Widecki

Porträt von Leon WideckiWie verblendend, verheerend und verbrecherisch die gezielte Instrumentalisierung von Feindbildern sein kann, zeigt auf schreckliche Weise die beinahe vollständige Vernichtung des europäischen Judentums: Millionen Menschen wurden gezielt verunglimpft, erniedrigt und zugleich als „rassisch minderwertige Volksfeinde“ verteufelt. Die Juden waren an allem schuld: am verlorenen Krieg, an der Not des deutschen Volkes, am Verfall der Kultur, am Kapitalismus und am Kommunismus. Das von den Nazis propagierte Feindbild des „Schädlings“, der den „gesunden deutschen Volkskörper“ zu infizieren und auszulöschen droht, lieferte dem NS-Terror die Legitimation zu hemmungsloser Barbarei von nach wie vor unfassbarem Ausmaß.

Dieser historische Einzelfall gehorcht im Wesentlichen denselben Bedingungen, die auch den heute noch alltäglichen Aufbau von Sündenböcken so gefährlich machen. Der „Stoff“, aus dem Feindbilder gemacht werden, ist stets derselbe. Feindbilder sind soziale Konstrukte. Sie spiegeln nicht die Realität wider, sondern kollektive Vorstellungen von der Realität. Diese Zerrbilder werden von politischen Parteien und Medien kreiert, deren Geschäftsgrundlage das Schüren von Ängsten und anderen negativen Gefühlen ist. Mit dem Ergebnis, dass sich viele Menschen von zu Feindbildern stilisierten Gruppen bedroht, benachteiligt und ausgegrenzt fühlen. Die im Feindbild heraufbeschworene Bedrohung rechtfertigt Abwehrmaßnahmen und liefert so die Lizenz zum Wütendsein und mitunter auch zur Gewalt. Das Feindbild hebt die subjektiv empfundene Schwäche des Einzelnen in der Gesellschaft auf und überträgt die Verantwortung für die eigene Misere, das eigene Scheitern auf den gemeinsam identifizierten, vermeintlichen Verursacher.

Unser Chefredakteur Erhard Stackl hat kluge Köpfe aus unterschiedlichen Disziplinen und Kulturkreisen eingeladen, ihre – zum Teil aus eigener Erfahrung gewonnenen ‒ Blickwinkel zu diesem komplexen Thema darzulegen. Jüdische Perspektiven sind dabei selbstverständlich prominent vertreten.

Mein Dank fürs Zustandekommen dieser Ausgabe geht auch heuer wieder an unsere Organisationsleiterin Susanne Trauneck, den Falter Verlag und an alle Partner für ihre Förderungen, Ankäufe und Inserate.

Bitte geben Sie dieses „Jüdische Echo“ nach dem Lesen an einen jungen Menschen weiter.

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